Berliner fragen - Ai Weiwei antwortet
1 # 6 Hintergrund
Fragen Sie Ai Weiwei!
Seine Ausstellung in Berlin ist ein Erfolg, aber er darf nicht kommen. Wir haben Publikum und Künstler zusammengebracht

1Ai Weiwei schrieb die Antworten auf die ausgedruckten Fotos. Die Übersetzung: "Ja. Was damals passiert ist, taucht oft in meinen Alpträumen auf." Gefragt von: Clémence Gauneau, Austauschschülerin aus Frankreich, zur Zeit in Herford (16 Jahre) und Linda Kühnel (rechts) (16 Jahre) aus Löhne vor Kunstwerk: "Dumbass"

2"Meine erste Begegnung mit Deutschland rührt aus dem Jahr 2007 her, zur Zeit der Documenta in Kassel. Ich brachte damals 1001 Chinesen nach Kassel. Dort lebten und lernten wir mehr als einen Monat." Gefragt von: Ulrike Peters (46 Jahre) aus Köln und Anja Müller-Kropp (45 Jahre) aus der Schweiz in "81" - dem Nachbau der Zelle von Ai Weiwei, in der er 81 Tage saß

3Ai Weiwei antwortet auf Fragen, die ihm Besucher seiner Ausstellung in Berlin gestellt haben.

4"Ich sorge mich um meine Familie ebenso, wie um meine Freunde und deren Familien." Gefragt von: Felix Nietzsche aus Berlin-Zehlendorf, 11 Jahre vor "Tierkreis"

5"Die größte Veränderung bringen heute die neuen Kommunikationsformen und ihre unerschöpflichen Möglichkeiten mit sich. Die uns über die Internettechnologie gebotenen Methoden und Möglichkeiten verändern das Selbstverständnis der Menschheit und gleichzeitig die Welt." Gefragt von: Christina Hasenauer (21 Jahre) aus Berlin-Spandau und Alexander Sabotta (19 Jahre) aus Blankenfelde, beide Kunststudenten, vor "Stools"

6"Ich hoffe sehr darauf, meine ausgestellten Arbeiten in diesem bekannten Bauwerk zu sehen. Ich hoffe auf die Gelegenheit, mich mit den Besuchern der Ausstellung auszutauschen. Ich wünsche mir, dass dies noch vor Ende der Ausstellung möglich sein wird." Gefragt von: Harmut Hoppe (51 Jahre) aus Münster vor "Souvenir from Shanghai"

7Frage: "Wie lässt sich künstlerisch der Wandel von Chinas 20 Jahren darstellen?" - Antwort: "Der größte Wandel, den China in 20 Jahren durchmachte, ist nicht seine äußerliche wirtschaftliche Veränderung. Sondern es ist die gleichzeitige Erkenntnis der Menschen wie möglich und notwendig ein freier Austausch ist. Diese Möglichkeit dazu hat China in ein anderes Zeitalter vordringen lassen. Wenn man nun fragt, was steht für China, dann lautet meine Antwort: Es ist das Ringen zwischen dem Ideal nach der Forderung zu fortgesetztem Wandel und einem Bewusstsein, das auf konservativer Erstarrung beharrt." Gefragt von: Der mexikanische Austauschstudent Lucas Pesqueira (17 Jahre), zur Zeit in Berlin-Reinickendorf, und seine Mutter Rosizorrilla Pesqueira (46 Jahre) zur Zeit auf Besuch in Deutschland vor "Untitled"

8"In China habe ich viele Freunde. Wir sprechen die gleiche Sprache, haben gemeinsame Interessen und Erfahrungen." Gefragt von: Familie Weisgerber aus Trier: Vater Marc (39), Mutter Meike (38), Jakob (8) - der die Frage formuliert und geschrieben hat – und Helene (6) vor Kunstwerk: "Dumbass"

9"Zuhören hat damit zu tun, sein Gegenüber zu respektieren. Es kommt vom Bedürfnis und Verständnis, das man für sich selbst und für den Anderen ausbringt. Nur wenn es uns ins Bewusstsein dringt, dass wir gemeinsam existieren und die Existenz des Anderen anerkennen, dann gewinnen wir auch das Selbstvertrauen, zuhören zu können." Gefragt von: Gabriele Zielke (65 Jahre) aus Berlin-Schöneberg und Barbara Stubenvoll (69 Jahre) aus Berlin-Tempelhof vor "Monumental Junkyar

10Frage: "Spüren Sie, ob in dieser Welt die Kunst die Kraft hat, die Wirklichkeit zu verändern?" - Antwort: "Wenn Menschen die Realität dieser Welt verändern können, dann wird bestimmt auch die Kunst eine Kraft darunter sein. Diese Kraft existiert jederzeit und an jedem Ort. Sie durchdringt und steckt in allen Anstrengungen dazu." Gefragt von: Haruko Maeda (31 Jahre) aus Japan, die zur Zeit als Künstlerin in Linz/Österreich lebt, vor "He Xie"/ Flusskrabben

11Die Fotos mit ihren Fragen betrachtet Ai Weiwei als Brücke zum Publikum im fernen Berlin. Er zeigt die Aufnahmen auch seiner 81-jährigen Mutter Gao Ying.

Wie diese Aktion entstand

Die Idee ist simpel. Neun Besucher seiner Berliner Ausstellung „Evidence“ stellen dem chinesischen Künstler Ai Weiwei eine Frage, und das geht so: Sie schreiben ihren Fragen auf große Pappkartons – dicke Edding-Stifte in Grün, Blau, Rot und Schwarz liefern wir – und halten das Schild dann in die Kamera. Jeder darf fragen, was ihm zu dem jeweiligen Kunstwerk durch den Kopf geht, es gibt keine Vorgaben, keine Erwartungen. Die Bilder mit den in die Kamera gehaltenen Fragen finden dann ihren Weg nach Peking, zu unserem langjährigen China-Korrespondenten Johnny Erling, der Ai Weiwei gut kennt und die Fragen zu ihm bringt. Der Künstler darf sein Heimatland derzeit nicht verlassen, er darf seine eigene, überaus erfolgreiche Berliner Ausstellung nicht sehen. Weil er keinen Pass hat.

Wir dachten uns: Wenn der Künstler nicht zu seinen Besuchern kommen darf, kommen eben die Besucher mit ihren Fragen zu ihm. Aber wird die Idee aufgehen? Werden sich Leute finden, die bereit sind, vor die Kamera zu treten und eine Frage zu stellen? Es ist schon morgens voll im Martin-Gropius-Bau. Die Besucher strömen zur Ausstellung. Man hört viele Sprachen. Noch ist schulfrei, auch einige Kinder mit ihren Eltern sind da. Der Fotograf Reto Klar ist das Auge unserer Aktion, er entscheidet, wo zuerst fotografiert wird. Wir beginnen vor „Dumbass“, der Video-Installation, in der Ai Weiwei reale Erinnerungen und Fantasien während seiner Zeit im chinesischen Gefängnis mischt.

Alle, die wir ansprechen, sind sofort bereit mitzumachen. Manchmal brauchen sie einen Moment, um eine Frage zu formulieren. Aber dann stehen sie da und schauen direkt und konzentriert in die Kamera. Auf den Bildern wirken die Ausstellungsräume fast leer. Doch so war es nicht. Überall waren Besucher, aber sie wollten unsere Fragenden nicht ablenken. Sie verstanden, im Moment des Fotos wurde eine unmittelbare Beziehung hergestellt zwischen dem Besucher und dem Künstler. So sollte es eigentlich immer sein, aber im Fall von Ai Weiwei wird es vom chinesischen Staat unterbunden. Nach einer Weile kamen Leute auf uns zu und wollten von sich aus mitmachen. Die Ausstellung „Evidence“ ist sehr persönlich und berührend. Kein Wunder, dass man Kontakt zum Künstler sucht. Auf den Bildern hatten wir einen großen Weißrand gelassen – Platz für Ai Weiwei, um später in seinem Atelier in Peking Platz seine Antworten hinzuschreiben. Er hat nur je einen griffigen Satz direkt auf die Bilder geschrieben, samt Unterschrift. So hat er es auf jedem Foto getan, er hat alle Fragen beantwortet.

Berliner Morgenpost, 19.05.2014
  • Idee: Susanne Leinemann
  • Fotos: Reto Klar, Johnny Erling (Nr. 3 und 11)
  • Online-Umsetzung: Julius Tröger