Corona-Lockdowns

Wer jetzt Lockerungen fordert, sollte sich das ansehen

Sorgenfrei Einkaufen, Partys feiern oder einfach endlich wieder arbeiten: Alle wollen ihr normales Leben zurück. Bislang reagiert die Politik vor allem mit einem Wechsel von Lockdowns und Lockerungen auf die Infektionswellen. Doch wie viele Freiheiten können wir uns herausnehmen, solange Impfstoffe und Tests Mangelware sind?

Neuinfektionen pro 100.000 EW in 7 Tagen

März
1
1. Lockdown
Erste Welle
April
2
Mai
Juni
Juli
Sommerferien
August
September
3
Oktober
Herbstferien
4
November
2. Lockdown-Phase
Zweite Welle
Dezember
5
Januar 2021
Februar
6
März
Dritte Welle
7

Als das Ende des ersten Lockdowns besiegelt war, haben sich Bund und Länder Anfang Mai 2020 auf eine neue Zahl geeinigt: 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner*innen innerhalb von sieben Tagen - das sollte die Obergrenze für harte regionale Maßnahmen sein. Sieben Wochen lang hatten im Frühjahr bundesweit einheitliche Einschränkungen gegolten. Nun wurde die Verantwortung für die Durchsetzung der 50er-Regel den Ländern übertragen. Seitdem ist die sogenannte 7-Tage-Inzidenz zum ersten Maß der Pandemie-Bewertung geworden und mittlerweile auch im Infektionsschutzgesetz festgeschrieben.

Für ganz Deutschland wurde dieser Wert in der ersten Welle auch nie überschritten: Der Höhepunkt war Anfang April, in der 14. Kalenderwoche, mit einer bundesweiten Inzidenz von 43,9 erreicht. Die Mini-Deutschland-Karten zeigen wie sich die Inzidenz in den Kreisen und kreisfreien Städten seit dem Frühjahr entwickelt hat - auf Basis der dem Robert-Koch-Institut (RKI) gemeldeten Infektionen.

Deutschland im Sommerschlaf der Corona-Pandemie

Innerhalb des Lockdowns sackte die Inzidenz auf einstellige Werte ab. Die erste Welle war laut RKI Mitte Mai vorbei. Die Maßnahmen und steigende Temperaturen hatten offensichtlich ihre Wirkung gezeigt. Und Deutschland ging in den Sommerschlaf der Pandemie. Ausbrüche blieben lokal begrenzt - wie der beim Fleischfabrikanten Tönnies, der Mitte Juni die Zahl der Neuinfektionen in den Kreisen Warendorf und Gütersloh (Nordrhein-Westfalen) in die Höhe schnellen ließ. Insgesamt blieb die Kurve flach.

Weniger Tests in der ersten Welle

Mär
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Mär

Virolog*innen, Epidemiolog*innen und Intensivmediziner*innen warnten, dass diese Ruhe trügerisch sei. Doch große Teile der Politik waren im Sommermodus. Schon im September stiegen mit der Reiserückkehr aus ganz Europa und auch mit der Rückkehr zum Normalbetrieb in den Schulen die Zahlen wieder, wie auch die Mini-Karten zeigen. Allerdings wurde mittlerweile auch deutlich mehr getestet, sodass die Inzidenzen der verschiedenen Phasen nur bedingt vergleichbar sind.

Die Werte verdeutlichen aber die Richtung der Entwicklung. Und die ging im Herbst immer weiter nach oben. Anfang Oktober war sie dann da, die zweite Welle. Das RKI hat die 40. Kalenderwoche - jetzt in der Nachbetrachtung - als ihren Beginn definiert. Das Coronavirus verbreitete sich flächig. Bund und Länder blieben aber zunächst bei ihrer Hotspot-Strategie und versuchten es in den Herbstferien erst einmal mit einem Beherbergungsverbot für Urlauber*innen aus deutschen Risikogebieten. Dies wurde von Gerichten schnell gekippt.

Jojo-Lockdown seit November

Einen Lockdown für ganz Deutschland sollte es nie wieder geben, so der ursprüngliche Wunsch. Doch es fehlten bundesweit alternative Strategien wie systematische Tests. In der zweiten Oktoberhälfte überschritt der Berliner Bezirk Neukölln als erstes Gebiet die 300er-Grenze bei der 7-Tage-Inzidenz. Anfang November waren es bereits elf Kreise. Rückverfolgungen von Infektionsketten waren bei solchen Werten längst nicht mehr möglich. Am 2. November einigten sich die Ministerpräsident*innen mit der Kanzlerin schließlich auf einen “Wellenbrecher-Lockdown” - eine kurze Lightversion ohne Schulschließungen.

Doch das sollte nicht reichen. So galt noch vor Weihnachten, am 16. Dezember, ein verschärfter Lockdown. Eine Woche vor dem Fest war die zweite Welle auf ihrem Höhepunkt – mit bundesweit mehr als 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner*innen innerhalb von sieben Tagen und fünf Landkreisen mit Spitzenwerten von mehr als 600 – alle in Sachsen, wo zur Weihnachtszeit auch die meisten Corona-Toten zu beklagen waren.

Mit Öffnungsplänen in die dritte Welle

Doch es gab auch Hoffnung. Bereits Anfang Dezember hatte Großbritannien als erstes Land weltweit mit dem Impfen begonnen. Nach den Weihnachtsfeiertagen ging es auch in Deutschland los – aber bis heute holprig, weil einfach Impfstoff fehlt. Im neuen Jahr zeigten die besinnlichen Tage und die Beschränkungen Wirkungen, aber nur leichte. Bund und Länder erklärten eine 7-Tage-Inzidenz von 35 als Ziel für Lockerungen. Der Jojo-Lockdown zermürbt die Menschen, Rufe nach Perspektiven wurden immer lauter. Die Ministerpräsident*innen-Runde reagierte am 4. März darauf mit einem stufenweisen Öffnungsplan - und einer neuen „Notbremse“ von 100 bei den Inzidenzen.

Doch die britische Variante des Coronavirus‘ B1.1.7 hat der Welle längst neuen Schwung gegeben. RKI-Chef Lothar Wieler spricht seit März 2021 davon, dass Deutschland in der dritten Welle stecke. Den Lockdown hält er vorerst für das einzige wirksame Werkzeug. Zu Ostern steckt Deutschland in der 22. Woche des Lockdowns. Regional - wie in Rostock und Tübingen - werden seit Monaten Alternativen zu Schließungen getestet. Und seit dem Osterruhe-Desaster, bei dem Angela Merkel von ursprünglich geplanten Verschärfungen zurückrudern musste, sind viele in Lockerungsstimmung. Merkel besteht aber auf die Umsetzung der Notbremse – und hat den Ländern mit einem härteren Kurs gedroht.



Quelle: RKI.
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