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Gesichtserkennung

Was Kameras aus Ihrem Gesicht lesen können

Berliner Südkreuz, Facebook oder neues iPhone: Die Gesichtserkennung rückt in unser Leben. Was wissen Kameras bereits? Wir haben es getestet. Versuchen Sie es selbst.

Was hier mit für jeden verfügbaren Mitteln mit einem Webcam-Foto möglich ist, wird woanders auf die Spitze getrieben: Sie wollen Ihre Doppelgänger finden? Kein Problem. Zumindest in Russland könnte das schon funktionieren. Seit gut einem Jahr steht dort der Dienst „FindFace“ für jedermann bereit. Er soll jede Person, von der ein Interessent irgendein digitales Foto zur Verfügung hat, aufspüren und ihren Namen, Kontaktdaten und mit Glück auch alle weiteren zugehörigen Angaben finden. Sofern sie irgendwo bei „VKontakte“ gespeichert sind, dem russischen Pendant zu Facebook. Als Vergleichsfotos werden die Profilbilder verwendet, die Millionen Nutzer selbst eingespeist haben.

Auch wer anderen richtig Böses will, kommt mit „FindFace“ weiter. So wurden in Moskau Schauspielerinnen aus Hardcore-Pornos, in denen sie auch mal ihre Gesichter zeigten, namentlich und öffentlich an den Pranger gestellt. Auch die staatlichen Verfolgungsbehörden Russlands bedienten sich der App, um Teilnehmer unerlaubter Demonstrationen namentlich dingfest zu machen.

Eine entsprechende Technologie ist auch bei Facebook bereits seit 2015 aktiviert („Deep Face“), zunächst nur für einen kleinen Personenkreis. Und für „Freunde“ im Bereich der EU ist „Deep Face“ ohnehin nicht nutzbar - aus Datenschutzgründen. Angewendet auf alle weltweit rund zwei Milliarden Mitglieder könnte der Name „Face Book“ eine völlig neue, wortsinnige Bedeutung bekommen: Eine Art globales Kontaktbuch für jede gesuchte Person, auch wenn ich nur ihr Gesicht kenne.

So gut ist die Erkennung – 83 Morgenpost-Mitarbeiter im Alterstest

Haarfarbe, Emotion oder Accessoires: Die Kameras können mittlerweile viele Merkmale aus den Gesichtern lesen. Doch wie gut sind sie darin? Wir haben den Test gemacht mit 83 Bildern von Morgenpost-Mitarbeitern – und das von der Maschine geschätzte Alter mit dem wahren verglichen. Das funktioniert „erstaunlich gut“, meint ein Experte.

Wie wir getestet haben
Starke Übereinstimmung
29 Morgenpost-Mitarbeiter hat der Algorithmus richtig geschätzt
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richtig
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richtig
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richtig
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1 Jahr zu alt
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1 Jahr zu jung
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1 Jahr zu jung
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2 Jahre zu alt
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2 Jahre zu alt
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2 Jahre zu alt
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2 Jahre zu jung
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2 Jahre zu alt
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2 Jahre zu jung
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2 Jahre zu jung
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2 Jahre zu alt

Dass ein großer Teil der Privatsphäre durch solche Algorithmen zerstört werde, hat sogar selbst der Entwickler von FindFace, Artem Kukharenko, unumwunden eingeräumt. Die Gefahren dieser Technologien spielte er zugleich herunter: „Wenn du ein guter Bürger bist und nichts zu verbergen hast, passiert dir doch durch die Gesichtserkennung nichts.“

Südkreuz-Experiment stößt auf Skepsis bis Widerstand

Das sind Sätze, die man hierzulande nicht so gerne hört. Und so stößt ein technisches Experiment, das der Politiker auf den Weg brachte, der bei uns jene guten Bürger von den weniger guten zu unterscheiden hat, auf Skepsis bis Widerstand. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat am 1. August einen Versuch am Bahnhof Berlin Südkreuz aufs Gleis gesetzt, mit dem die Qualität der elektronischen Gesichtserkennung getestet werden soll.

275 Personen, die den Bahnhof regelmäßig benutzen, hatten sich dazu bereit erklärt. Sie durchlaufen bei ihrem alltäglichen Gang durchs Südkreuz ein Feld, das von drei Kameras überwacht wird. Die sollen nun zeigen, wie oft sie die Probanden in einer Masse von Menschen allein an ihrem Gesicht erkennen. Da sie am Arm Transponder tragen wie Marathonläufer für den Durchlauf beim Start und Ziel, lässt sich leicht feststellen, wie oft jeder der 275 Personen tatsächlich am Südkreuz war, und schon ist die Erfolgsquote ermittelt.

Apple, Facebook, Google: Alle nutzen Gesichtserkennung

Die Latte dafür liegt hoch: Jenes DeepFace von Facebook reklamiert eine Treffergenauigkeit von 97,25 Prozent, noch höher will Googles FaceNet mit 99,96 Prozent sein. Auch der Computerriese Apple scheint sich bei seiner Technologie der Gesichtserkennung nahezu 100-prozentig sicher zu sein. Kann doch der Besitzer seines neuesten Smartphones, des iPhone X, das Gerät allein durch den Blick in die Kamera entsperren.

Mittlere Übereinstimmung
Bei 24 Mitarbeitern hat sich der Algorithmus bis zu fünf Jahre verschätzt
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3 Jahre zu alt
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3 Jahre zu alt
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3 Jahre zu alt
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3 Jahre zu alt
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3 Jahre zu jung
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4 Jahre zu alt
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4 Jahre zu alt
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4 Jahre zu alt
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4 Jahre zu alt
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4 Jahre zu alt
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4 Jahre zu alt
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4 Jahre zu jung
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4 Jahre zu alt
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4 Jahre zu jung
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4 Jahre zu jung
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5 Jahre zu alt
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5 Jahre zu jung
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5 Jahre zu jung
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5 Jahre zu jung
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5 Jahre zu jung
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5 Jahre zu jung
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5 Jahre zu jung
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5 Jahre zu jung

Während beim iPhone X die Gesichtserkennung von vielen als Technologie-Schub gefeiert wurde, bekam das Südkreuz-Projekt schnell heftigen Gegenwind. Der Deutsche Anwaltsverein sieht gar die Verfassung verletzt wegen „des unverhältnismäßigen Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung“. Und Bundesdatenschützerin Andrea Voßhoff forderte die „sofortige Unterbrechung“ des Projektes, weil die Transponder der Versuchspersonen mehr Daten als erlaubt liefern können.

„Analoge“ Überwachung längst Alltag am Südkreuz

Die Aufmachung des Bahnhofs Südkreuz deutet an, dass die starken Vorbehalte ernst genommen werden. Jeder Passant wird durch übergroße Wegweiser am Boden und Tafeln darauf hingewiesen, in welchem Bereich die Gesichtserkennung durch die drei Kameras läuft. Dabei wird der gesamte Bahnhof ängst flächendeckend überwacht von 77 Kameras, aus denen nach dem Falle eines Falles dann auch Gesichter beobachtet werden, zurzeit noch von Menschen.

Auch diese inzwischen herkömmliche Kameraüberwachung des öffentlichen Raums ist seit ihrem Anfang höchst umstritten. „Kameras verhindern keine Verbrechen“, schallt es von der einen, „es geht nicht um Verhinderung sondern um die Strafverfolgung“ von der anderen Seite. Die Debatte um die rechtzeitige Aufspürung von Islamisten und Gefährdern spielt zurzeit besonders hinein.

Kameras mit geschultem Gedächtnis

Die Diskussion über die neue digitale Gesichtserkennung wird freilich noch in ganz andere Dimensionen vorstoßen, wobei der Gewinn für die Betroffenen nur noch schwer zu vermitteln sein wird. So könnten Kameras in Kaufhäusern schon bald mit einem Gedächtnis ausgestattet werden, um auf Displays zwischen den Regalen genau auf mich zugeschnittene Werbung auszuspielen. Man würde sich persönlich verfolgt fühlen – und zwar zurecht. In der Supermarktkette Real und in Postshops wurden in Versuchsreihen bereits Vorbereitungen dazu angeschoben.

Geringe Übereinstimmung
Bei 31 Morgenpost-Mitarbeitern wich die Schätzung stark ab
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6 Jahre zu alt
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6 Jahre zu jung
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6 Jahre zu alt
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6 Jahre zu alt
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6 Jahre zu jung
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7 Jahre zu alt
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7 Jahre zu alt
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7 Jahre zu alt
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7 Jahre zu jung
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7 Jahre zu jung
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7 Jahre zu jung
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7 Jahre zu jung
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7 Jahre zu alt
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8 Jahre zu alt
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8 Jahre zu alt
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8 Jahre zu alt
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8 Jahre zu alt
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8 Jahre zu alt
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8 Jahre zu jung
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8 Jahre zu alt
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9 Jahre zu jung
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9 Jahre zu jung
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9 Jahre zu jung
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9 Jahre zu jung
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10 Jahre zu alt
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10 Jahre zu alt
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10 Jahre zu jung
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10 Jahre zu alt
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10 Jahre zu jung
Schätzung:
11 Jahre zu alt
Schätzung:
14 Jahre zu jung

Computerprogramme könnten nicht nur auf Gedächtnisse und Wiedererkennung programmiert, sondern auch – mithilfe von Millionen eingespeister Beispielköpfe – auf die Unterscheidung bestimmter Eigenschaften und Präferenzen geschult werden. Und zu erkennen, ob jemand mürrisch blickt oder fröhlich, gehört schon heute zu den leichtesten Übungen für die Elektronik. In China soll Künstliche Intelligenz anhand von Gesichtsausdrücken Straftaten vorhersagen können – angeblich.

Forscher der Stanford University haben 35.000 Fotos einer Dating-Platform im Internet verwendet, um einer Software beizubringen, bei anderen Testpersonen zwischen Heteros und Schwulen zu unterscheiden - mit einer Trefferquote von 81 Prozent bei Männern und 71 Prozent bei Frauen. Vergleichsschätzungen durch Menschen lagen um ein Fünftel schlechter.

Gleichgewicht des Überwachungsschreckens

Kann man sich gegen Erkennungstechnologien wehren? Der Science-Fiction-Autor David Brin empfiehlt eine Art Gleichgewicht des Schreckens: Bei jeder Kamerabeobachtung durch einen Dritten soll man mit einer eigenen Kamera dagegen halten. Nach der Devise: Hat der Nachbar Informationen über mich, kann er sie nicht verwenden, wenn ich auch bei ihm über Insiderwissen verfüge.

Friedlicher wäre da die Defensive: die Vermummung. Inzwischen gibt es unzählige Angebote im Netz, die versprechen, die automatische Gesichtserkennung auszutricksen: Tücher, Kragen, Schals, auch schon mal mit eingebauten Reflektoren. Doch es könnte sein, dass auch diese Mode schnell „out of date“ ist. Längst arbeiten die Überwachungsstrategen am nächsten Schritt. Sie wollen gesuchte Personen nicht mehr anhand ihres Gesichtes überführen, sondern über ihre – ebenfalls von Kameras aufgezeichneten – Bewegungen, den Gang, die Haltung.

Wie wir getestet haben

Daten-Selfie und Alterschätzung der Morgenpost-Mitarbeiter basieren auf dem Gesichtserkennungsdienst von Microsoft Cognitive Services. Und immerhin fast zwei Drittel der Morgenpost-Mitarbeiter kann der Algorithmus in die richtige Altersgruppe einordnen und verschätzte sich hier um durchschnittlich viereinhalb Jahre. Bei 29 Personen unterscheidet sich der Schätzwert nur um bis zwei Jahre vom wahren Alter, bei sechs Morgenpost-Arbeitern gab der Computer das exakte Alter aus. „Die Altersschätzung funktioniert hier erstaunlich gut“, sagt Florian Gallwitz, Professor für Mustererkennung an der Technischen Hochschule Nürnberg. Wir hatten den Experten gebeten, unsere Anwendung kurz zu testen.

In unserem Experiment gibt es sieben starke Ausreißer mit Abweichungen von zehn Jahren und mehr. Insgesamt ist auffällig, dass Bartträger etwas zu alt geschätzt werden und ein Lächeln die Personen für die Maschine jünger erscheinen lässt. Doch Gallwitz gibt zu Bedenken: „Auch Menschen berücksichtigen unbewusst solche Merkmale, wenn sie das Alter einer Person schätzen sollen“. Die Binsenweisheit, dass Bärte „älter machen“, sei sogar schon Gegenstand wissenschaftlicher Studien geworden.

Ähnlich wie Menschen aus Erfahrung das Alter einordnen, lernen die Erkennungsalgorithmen aus sogenannten Trainingsdaten. In unserem Fall sind das hunderttausende Bilder von Gesichtern, zu denen das Alter der Abgebildeten bekannt ist. Der Computer macht sich nun selbstständig auf die Suche nach geeigneten Merkmalen, um das Alter zu bestimmen; wie Gesichtsproportionen, Haarfarbe oder Struktur der Hautoberfläche.

Eine Brille, ein Bart oder die Frisur könne für die Maschine ein geeigneter Hinweis sein, wenn ein solches Merkmal in einer Altersgruppe häufiger auftrete als in einer anderen, sagt Gallwitz. Das gelte auch für den Gesichtsausdruck. So konnten wir und Gallwitz beim Selbsttest das geschätzte Alter durch ein Lächeln etwas nach unten verschieben.

Verwirren lassen sich die Maschinen auch durch die Lichtverhältnisse. Auch hier kommt es wieder auf die Trainingsdaten an. „Wenn solche Systeme beispielsweise nur mit frontal aufgenommenen, gut ausgeleuchteten Gesichtern trainiert wurden, scheitern sie auf dunklen Halbprofil-Bildern kläglich“, sagt Gallwitz. Mit besseren Trainingsbildern für die spätere Anwendungssituation, seien sie aber oft „verblüffend genau“.

Der hier verwendete Microsoft-Algorithmus liest sichtbare Merkmale und interpretiert Alter und Geschlecht. Andere Systeme gehen da weiter und versuchen, auch ethnische Herkunft und sogar sexuelle Orientierung zu erkennen. Gallwitz hält sie für problematisch. Eine Aufmerksamkeitserkennung für Lkw-Fahrer, vor dem Einschlafen warnt, wäre dagegen eine nützliche Anwendung.

Auch wenn Maschinen viele Merkmale aus Gesichtern lesen können, bleibt für Gallwitz „die praktisch bedeutendste und gleichzeitig beunruhigendste Anwendung“ die reine Identifikation von Gesichtern. Und da sei die Technologie in den letzten Jahren rasant fortgeschritten. „Die besten aktuellen Systeme erkennen Gesichter deutlich genauer als der Mensch“, sagt der Experte. Sie sei längst nicht perfekt. Aber neue Technologien wie die 3D-Erkennung treiben die Entwicklung voran.

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