Gegenmeinungen? Versucht Angela Merkel offensichtlich unter Kontrolle zu halten. Ihre erklärende Mimik und die Dominanzgeste zeigen Machtanspruch und dass etwas abgeschlossen ist. Angela Merkel ist nicht bereit, darüber zu diskutieren. Je nach Autoritätsglaube des Zuschauers, erzeugt eine solche Geste Zustimmung oder Reaktanz.
Die flehende Geste wirkt ungewöhnlich, weil sich Schulz eher als Macher positioniert. Auch weil sie einen sehr konsequenten Habitus verlangt, der dem SPD-Markenkern – der Fürsorge – eigentlich widerspricht. Sie mag einst bei Schröder funktioniert haben, Martin Schulz hingegen ist der geborene Moderator, jemand der in Talkshows ausgleicht und Verständnis zeigt.
Merkel will hier zeigen: Es gibt keine Alternative. Die Art und Weise, mit der sie ihr Argument vorbringt, scheint allerdings etwas übertrieben und antrainiert. Zwei Zeigefinger, hochgezogene Augenbrauen, Kopf nach vorn und sich nach vorne beugend – all das mag eindeutig wirken, aber alles andere als kooperativ.
Die Geste unterstreicht, dass Martin Schulz eigentlich ein Gefühlsmensch ist, der sich eher etwas zu Herzen nimmt als mit Distanz zu betrachten. Er macht hier etwas zu seiner Sache, doch der verkrampft nach außen gebogene Daumen signalisiert: vielleicht zu sehr. In diesem Moment steht er nicht über den Dingen.
Ganz sicher scheint sich die Kanzlerin in diesem Moment nicht zu sein, was sich auf die visuelle Wirkung niederschlägt. Man wartet auf eine Orientierung gebende Geste. Ihre Unsicherheit zeigt sich auch im Argument, das sie in Händen zu halten scheint: Anstatt die Karte auszuspielen, nimmt sie sie wieder zurück.
Das, was der SPD-Kandidat gestisch vollführt, symbolisiert klar: Ich mache reinen Tisch. Martin Schulz wischt etwas fort, um sich einer anderen – eventuell erfreulicheren – Sache zuzuwenden. Seine hochgezogene Augenbraue zeigt zusätzlich seine Verachtung für das Argument, das er hinter sich lässt. Sehr energisch, sehr eindeutig – basta.
Sie haut aufgrund eines Gegenarguments auf den Tisch oder verleiht einem eigenen Argument Kraft. Energisch ist die Geste allemal, was bei der Kanzlerin eher selten vorkommt. Dass für sie etwas erledigt ist, drückt sie auch durch das sofortige Abwenden vom Thema aus.
Wie mit einem Hammer haut Schulz hier auf den Tisch. Doch trotz der geballten Faust verpufft die Wirkung fast, denn er traut sich nicht wirklich durchzuziehen. Es bleibt bei der Andeutung, die zumindest visuell eine unterschwellige Unentschlossenheit ausstrahlt.
Hier zeigt sich, wie Merkel zu ihrem Spitznamen "Mutti" gekommen ist. Zwar zeigt Ihre Mimik Verständnis für Widerworte, federt diese aber tänzelnd ab und ermahnt zur Ruhe. Möglicherweise warnt Sie auch vor allzu großer Siegesgewissheit? Der Zuhörer allerdings entscheidet: Lasse ich mir das nur von meinen eigenen Eltern gefallen – oder auch von der Kanzlerin?
Ein Ring aus Daumen und Zeigefinger will stets etwas präzisieren. Dabei belässt es Martin Schulz aber nicht. Schaut man genauer hin, fällt auf, dass die rhythmischen Bewegungen seiner Hand synchron zu den von ihm gesprochenen Silben erfolgen. Insofern könnte man die Bewegung auch als Taktstock-Geste beschreiben, die Gesagtes unterstreichen will.
Es wirkt, als würde die Kanzlerin ein imaginäres Buch aufschlagen, sucht darin sogar kurz nach Worten. Als trüge sie einen Paragrafen vor, der schwarz auf weiß geschrieben wäre, hält sie das unsichtbare Buch in ihren Armen. Auch dessen Gewicht – im übertragenen Sinne das Gewicht ihres Arguments – visualisiert sie.
Was auch immer Schulz für eine Botschaft gestisch komprimiert, um sie dann ins Publikum zu senden: sie kommt wahrscheinlich nicht an. Das Publikum erwartet von einem Redner Aufklärung und Orientierung. Aber keinen in alle Richtungen verteilten Satz, die zweifelnde Mimik verlagert das Problem auf die Zuhörer.
"Politiker widersprechen sich mit Blicken und Händen gerne selbst"
Vier Sender (ARD, ZDF, SAT.1 und RTL) übertragen das TV Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz am 3. September zeitgleich ab 20.15 Uhr. Rund drei Wochen vor der Wahl ist der direkte Schlagabtausch für beide Kandidaten noch einmal Gelegenheit bei guten Einschaltquoten zu punkten - und ihre Positionen zu erläutern und zu verteidigen. Doch neben dem eigentlichen Inhalt wird auch die Ausstrahlung der Kandidaten darüber entscheiden, wer das Duell letztlich für sich entscheidet.
Die Berliner Morgenpost hat Gesten von der Deutschen Rednerschule analysieren lassen. Die bewerteten Ausschnitte sind alle aus dem Wahlkampfjahr 2017 und stammen vom Parlamentsfernsehen des Deutschen Bundestags und vom Youtube-Kanal SPDvision. Auffällig ist, dass Merkel in ihren Reden ihre berühmte Raute mittlerweile zu vermeiden scheint.
"Es lohnt sich bei Sendungen mit Politikern den Fernseher zeitweise auf stumm zu schalten", sagt Sammy Stauch von der Deutschen Rednerschule. Und meint damit, dass vor allem die Gestik und Mimik der Kandidaten teilweise mehr verraten als ihre Worte. "Politiker widersprechen sich mit Blicken und Händen gerne selbst: Da wird Offenheit gefordert, obwohl der Redner selbst auf das Rednerpult starrt. Ein Fazit wird abgewehrt anstatt mit den Händen hervorgehoben. Oder mahnend der Zeigefinger erhoben, um Augenhöhe zu betonen", so Stauch.
Für das TV-Duell zwischen Merkel und Schulz rät Stauch besonders aufmerksam zu sein. Verräterisch seien vor allem Gesten, die nicht synchron zum Gesagten sind. "Ist die Sprache einen Tick schneller als das Einsetzen der Mimik oder Gestik, ist Vorsicht geboten. Sehr wahrscheinlich wurde dann nämlich etwas krampfhaft auswendig gelernt oder der Sprecher ist nicht bei der Sache", erklärt Stauch.