CDU- und Linke-Wähler
Stimmen der Anwohner entlang der Buslinie M29, in Prozent
- CDU mit absoluter Mehrheit am Roseneck
- Linke stärkste Kraft im Herzen von Kreuzberg 36
Dass die M29-Route eine Linie der Gegensätze ist, zeigt sich deutlich am Wahlverhalten der Anwohner: Die rund 16 Kilometer lange Tour beginnt am westlichen Ende in der Villengegend im Berliner Ortsteil Grunewald an der Bushaltestelle Roseneck. Im dortigen Wahlbezirk hat die CDU bei der vergangenen Bundestagswahl die absolute Mehrheit geholt – mit 50,5 Prozent sogar mehr als die CSU in Bayern (49,3 Prozent).
Im letzten Drittel der Strecke, am Heinrichplatz im Herzen von Kreuzberg 36, hätte der Wahlausgang im September 2013 unterschiedlicher kaum sein können: Die Union wäre dort an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, nur 4,1 Prozent wählten CDU. Dafür kam die Linke mit 28,8 Prozent auf den höchsten Stimmenanteil auf der gesamten M29-Linie – und schlägt auch die in Kreuzberg traditionell starken Grünen (27,4 Prozent).
Migrationshintergrund
in Prozent
- Roseneck unter Berliner Durchschnitt
- Höchster Wert rund um Anhalter Bahnhof
Auch beim Migrationshintergrund der Anwohner entlang der Strecke ist die M29 eine Linie der Gegensätze. An der westlichen Endhaltestelle Roseneck hat nur gut jeder Vierte (rund 22 Prozent) seine Wurzeln im Ausland. Der Anteil liegt unter dem Durchschnitt der ganzen Stadt (28 Prozent), der teilungsbedingt durch den Ostteil Berlins (rund 16 Prozent) im Vergleich mit anderen deutschen Großstädten eher gering ist. Im Westteil, durch den die Buslinie M29 ausschließlich führt, liegt die Quote bei rund 36 Prozent.
Das Berliner Mittel wird aber bereits ab der zweiten Station getoppt und steigt bis zur zweiten Hälfte der Strecke in Richtung Osten rasant an: Rund um den Anhalter Bahnhof haben mehr als zwei Drittel der Anwohner (rund 69 Prozent) einen Migrationshintergrund. Fährt man weiter in Richtung Hermannplatz, fällt der Anteil an der Neuköllner Endhaltestelle wieder unter die Hälfte (43,4 Prozent).
Alt und jung
Anteil der über 65- und unter 18-Jährigen in Prozent
- Jeder Dritte in Grunewald im Rentenalter
- Wendepunkt am Hiroshimasteg
In Grunewald lässt es sich alt werden: Jeder dritte Anwohner zwischen den Haltestellen Roseneck und Bismarckplatz ist im Rentenalter. Auf der Fahrt durch die City West sinkt der Anteil dann deutlich bis auf ein gutes Fünftel. Die unter 18-jährigen Anwohner bleiben in der ersten Hälfte der Linie eine Minderheit.
Der Wendepunkt der Linie – zumindest beim Alter der Anwohner - ist die Haltestelle Hiroshimasteg in Tiergarten. Hier übersteigt der Anteil der Kinder und Jugendlichen erstmals den der älter als 65-Jährigen. Zwischen Checkpoint Charlie und Moritzplatz sind die Anwohner besonders jung: Jeder Fünfte ist unter 18 Jahren alt. Am östlichen Ende der Linie sind die Rentner in der Minderheit: Nur noch jeder Zehnte ist älter als 65.
Arbeitslose
in Prozent
- Vollbeschäftigung im Westen der Linie M29
- Hohe Arbeitslosigkeit am Moritzplatz
Arbeitslosigkeit ist in Grunewald so gut wie kein Thema. Rund um die Haltestelle Roseneck – dem westlichen Ende der Linie – sind nur 2,8 Prozent der Anwohner arbeitslos gemeldet, was für viele Ökonomen Vollbeschäftigung bedeutet. Auf der M29-Linie wird dieser Wert nur von der Gegend um die Haltestellen Hiroshimasteg, Gedenkstätte Dt. Widerstand und Mendelssohn-Bartholdy-Park mit 2,6 Prozent Arbeitslosigkeit noch unterschritten. In dem Viertel befindet sich der Potsdamer Platz und das Botschafterviertel. Dort leben eher wenig Menschen, diese haben aber einen vergleichsweise hohen Lebensstandard.
Auf der Fahrt von Roseneck in Richtung Kreuzberg steigen die Arbeitslosenzahlen dann fast kontinuierlich an. Am Moritzplatz erreichen sie ihren Höhepunkt: 17,5 Prozent der Menschen sind hier arbeitslos. Zum Vergleich: In ganz Berlin liegt die Arbeitslosenquote bei etwa elf Prozent. Auf der Fahrt durch Kreuzberg bis zur Endhaltestelle Hermannplatz/Urbanstraße halbiert sich der Anteil dann fast auf 9,3 Prozent – und unterschreitet damit sogar wieder den Berliner Durchschnitt.
Soziale Lage
nach Sozialindex: 1,9 (Berlin-Bestwert) bis -2,4 (schlechtester Wert)
- Moritzplatz ist sozialer Brennpunkt
- Heile Welt am Roseneck
Die Linie M29 führt durch die sozialen Brennpunkte Berlins. Vor allem den Menschen am Moritzplatz geht es sozial und gesundheitlich verhältnismäßig schlecht – hier gibt es die ungünstigste Sozialstruktur in ganz Berlin. Für den sogenannten Sozialindex wird die soziale und gesundheitliche Lage der Berliner im Sozialstrukturatlas anhand von 66 Indikatoren ausgewertet. Dazu gehören Daten zur Beschäftigung, Einkommen, Bildungsstand, Gesundheit und Lebenserwartung.
Am anderen Ende der M29-Strecke sieht Berlin ganz anders aus: Am Roseneck prägen Vollbeschäftigung, hohe Einkommen und eine hohe Lebenserwartung die Sozialstruktur. In ganz Berlin hat das Gebiet um die Haltestelle den zweitbesten Sozialindex - nur geschlagen von der Thielallee in Dahlem.
Mietsteigerung
in Prozent
- Mieten an Nord-Neukölln-Haltestellen fast verdoppelt
- Stabile Preise in Grunewald
Nord-Neukölln ist längst kein Geheimtipp mehr. Neue Clubs, Bars und Hostels ziehen seit Jahren junge Berliner und Touristen an. Auch Investoren kommen. Und das Leben wird immer teurer. So haben sich am Hermannplatz die Preise bei Neuvermietungen in den vergangenen fünf Jahren auf durchschnittlich zehn Euro pro Quadratmeter kalt fast verdoppelt – stärker sind die Mieten entlang der Linie M29 nirgends gestiegen.
Ein komplett anderes Bild am anderen Ende der Linie: Während fast ganz Berlin von steigenden Mieten spricht, bleiben sie in Grunewald seit Jahren gleich. Allerdings waren sie in der Villengegend bereits auf vergleichsweise hohem Niveau. Wer zwischen Teplitzer Straße und Bismarckplatz ein neues Zuhause beziehen will, sollte immer noch im Durchschnitt 10,48 Euro pro Quadratmeter einplanen. Gleichzeitig hinterlassen die Mieten hier kein allzu großes Loch in der Haushaltskasse, da die Nettohaushaltseinkommen deutlich höher sind als am anderen Ende der M29-Linie.
Einkommen
in Euro (netto) je Haushalt
- Kaufkraft sinkt auf der Strecke um ein gutes Drittel
- Wohlstand noch nicht in Szene-Kiezen angekommen
Die Strecke der Linie M29 führt entlang des Berliner Einkommensgefälles – und das verhält sich fast spiegelbildlich zur Mietentwicklung: In Gegenden mit den höchsten Mietsteigerungen haben die Menschen das wenigste Geld, am westlichen Startpunkt der Route können sich die Haushalte deutlich mehr leisten. Im Ortsteil Grunewald liegt das durchschnittliche Nettoeinkommen der Haushalte bei 4124 Euro.
So beliebt die Kieze am östlichen Ende der Buslinie M29 mittlerweile sind, der Wohlstand ist hier noch nicht angekommen. Auf dem Weg zum Hermannplatz nimmt das Einkommen der Haushalte um mehr als ein Drittel ab: Nur noch 2660 Euro stehen rund um die Haltestelle Pflügerstraße in Neukölln monatlich zur Verfügung.
Einbrüche
je 1000 Einwohner
- Einbrecher bevorzugen Häuser in Grunewald
- Geringere Einbruchsquote in Neukölln
Wer rund um die Haltestelle Joseph-Joachim-Platz in Grunewald wohnt, sollte über erhöhten Einbruchsschutz nachdenken. Die Polizei nahm 2013 hier neun Einbrüche pro 1000 Einwohner auf. Das ist nicht nur entlang der Linie M29 ein auffällig hoher Wert, sondern die höchste Einbruchsrate in ganz Berlin. Vor allem die Villen und Einfamilienhäuser in der wohlhabenden Gegend locken die Diebe an.
Dagegen ist der dicht besiedelte Norden Neuköllns offensichtlich kein lukratives Einbruchsziel: Rund um die belebte Haltestelle Sonnenallee/Pannierstraße wurde im gleichen Zeitraum 3,8 mal pro 1000 Einwohner zugeschlagen. Damit liegt die Gegend bei den Einbrüchen im Berliner Mittelfeld und verzeichnet die niedrigste Einbruchsquote entlang der Route.
Gebürtige Berliner
in Prozent
- M29 ist die Buslinie der Zugezogenen
- Bus durchfährt Gegend mit wenigsten Berlinern
Die Wahrscheinlichkeit, entlang der M29-Linie echte Berliner anzutreffen, ist geringer als anderswo in der Stadt. Rund um alle 45 Stationen der Buslinie wohnen deutlich mehr Zugezogene. Nach der Hälfte ihrer Strecke durchfährt der Bus dann sogar die Gegend, in dem die wenigsten gebürtigen Berliner in der ganzen Stadt wohnen: Rund um die Haltestellen Hiroshimasteg, Gedenkstätte Dt. Widerstand und Potsdamer Brücke (Nördlicher Landwehrkanal in Mitte) sind nur 19 Prozent der Anwohner auch in Berlin geboren – also nur jeder Fünfte.
Am ehesten findet man echte Berliner noch in den Kiezen um die Haltestellen Alexandrinenstraße und Moritzplatz. Hier ist immerhin fast jeder Zweite (45,5 Prozent) auch in Berlin zur Welt gekommen.
Airbnb-Ferienwohnungen
je 1000 Einwohner
- Airbnb boomt in Kreuzkölln
- Kaum Angebote am Roseneck
In den Szenekiezen von Kreuzberg und Nord-Neukölln boomt die Internet-Schlafplatzbörse Airbnb: Rund 40 Übernachtungsmöglichkeiten je 1000 Einwohner bietet die Website um die Haltestellen Heinrichplatz, Görlitzer Bahnhof, Spreewaldplatz, Ohlauer Straße und Glogauer Straße.
Doch das Phänomen Airbnb bleibt auf die letzten zehn östlichen Stationen der Linie M29 begrenzt. Danach bricht die Quote der Angebote auf unter ein Viertel ein. Am westlichen Ende werden es Touristen besonders schwer haben, ein Zimmer oder eine Wohnung über Airbnb zu finden: Am Roseneck in Grunewald gibt es gerade einmal 1,3 Einträge je 1000 Einwohner auf der Internet-Plattform.
Inspiration: Inequality And New York's Subway - The New Yorker
Berliner Morgenpost, 13.01.2015