Umfragen deuten auf einen haushohen Sieg der Union bei der Bundestagswahl hin, Angela Merkel könnte danach weiter Kanzlerin einer großen Koalition sein. Und tatsächlich hat die Union inhaltlich die meisten Übereinstimmungen mit den Sozialdemokraten (70 Prozent) unter allen Parteien, die Chancen auf den Einzug in den Bundestag haben. Zumindest wenn es um die Bewertung der 38 Thesen des Wahl-O-Mat geht. Das hat die Auswertung der Antworten der 32 Parteien ergeben, die dort Position bezogen haben. Mit dem Wahl-O-Mat können Wähler herausfinden, welche Partei am besten zu ihnen passt. Die Analyse zeigt, welche Parteien sich inhaltlich am nächsten stehen - und welche bei der Bewertung aller 38 Fragestellungen weit auseinander sind. Danach stimmt die Union nur noch mit den Freien Wählern stärker überein (76 Prozent) als mit dem aktuellen Koalitionspartner SPD.
Fast genauso viele Übereinstimmungen gibt es allerdings auch zwischen Union und der FDP (68 Prozent), der ein starkes Comeback vorhergesagt wird. Doch für ein klassisches Bündnis aus einer Volkspartei und einem Juniorpartner dürfte es eng werden. Denn erstmals seit der Wiedervereinigung werden voraussichtlich sechs Parteien im Bundestag vertreten sein - mit der AfD erstmals auch eine Partei rechts von der CDU/CSU-Fraktion. Von den Rechtspopulisten wollen sich die anderen stark abgrenzen. Auch Merkel hat nachdrücklich eine Zusammenarbeit der Union mit der AfD im neuen Parlament ausgeschlossen. Laut Wahl-O-Mat gibt es bei jeder zweiten These inhaltliche Überschneidungen mit der CDU/CSU (57 Prozent). Inhaltlich am weitesten von der AfD entfernt sind danach die Linken (33 Prozent Übereinstimmung) und die Grünen (37 Prozent), bei den meisten Fragen stimmt sie mit der FDP überein (64 Prozent).
Schwierige Dreierbündnisse
Da es für die Bildung von Regierungen mit zwei Partnern jenseits der großen Koalition knapp werden könnte, werden längst Dreierbündnisse diskutiert. Doch egal ob Jamaika (CDU/CSU, FDP und Grüne), Ampel (SPD, FDP und Grüne) oder Rot-Rot-Grün (SPD, Linke und Grüne) - mit einem Partner gäbe es laut Wahl-O-Mat-Auswertung immer größere inhaltliche Differenzen. So wären die Grünen zwar der natürliche Koalitionspartner der Sozialdemokraten (74 Prozent Übereinstimmung), knapp vor der Union. Doch mit der Linken (62 Prozent) und den Liberalen (57 Prozent) steht die SPD viel weiter auseinander. Auf der anderen Seite sind sich die Union und die Grünen insgesamt weniger einig, als einige Debatten um Schwarz-Grün erwarten lassen (54 Prozent). Doch in dieser Auswertung werden alle Fragen gleich gewichtet. Fasst man mehrere Fragen zu Themenfeldern zusammen, ergeben sich jeweils andere mögliche Partnerschaften bei der Zusammenarbeit zwischen den sechs Parteien.
Der Wahl-O-Mat hilft dabei, die richtige Partei für die Zweitstimme zu finden. Doch die Hälfte der mindestens 598 Abgeordneten wird direkt gewählt. 2559 Kandidaten kämpfen um die Erststimmen in 299 Wahlkreisen. Sie stellen sich mit ihrer Person den Wählern. Dass einige Kandidaten mit ihren Überzeugungen von der Parteilinie abweichen, zeigt die Auswertung des Kandidaten-Checks von Abgeordnetenwatch. Die Grafik zeigt wie nah sich Kandidaten inhaltlich sind: Jeder Punkt steht dabei für einen Bewerber. Je mehr die inhaltlichen Positionen übereinstimmen, umso näher liegen die Punkte zusammen. Dabei ist eine politische Landkarte entstanden - mit Gegenden, die von jeweils von einer Partei bestimmt werden.
Die Punkte verteilen sich allerdings nicht nach dem politischen Links-Rechts-Schema. Sie zeigen vielmehr, wie einig sich die Kandidaten innerhalb der Parteien sind, aber auch wie sie inhaltlich zu Positionen aus anderen Lagern stehen. Auffällig ist, wie geschlossen sich die Linke zeigt - aber auch wie stark sich die AfD in einzelnen Fragen mit allen etablierten Parteien übereinstimmt. So lehnen 93 Prozent AfD-Kandidaten Fahrverbote für Dieselfahrzeuge ab - ähnlich wie Union und FDP (je 95 Prozent). In anderen Fragen stimmen sie aber mehrheitlich mit den Linken, SPD und Grünen überein, wie beim Thema Volksentscheide auf Bundesebene oder der Befürwortung eines Lobbyregisters.
Politische Landkarte der Direktkandidaten
Dennoch hebt sich eine AfD-Wolke ab - durch Positionen, die in keiner der etablierten Parteien eine Mehrheit finden: Abschiebungen nach Afghanistan (82 Prozent) und einer Obergrenze für Flüchtlinge (72 Prozent). Zum Vergleich: Unter den Bewerbern der Union befürworten nur 16 Prozent eine Obergrenze, bei den anderen im Bundestag vertretenen Parteien und der FDP sind es noch deutlich weniger. Dirk Kranefuß aus Neuss (Nordrhein-Westfalen) ist der einzige AfD-Bewerber der beide Thesen ablehnt. So ist er eher im bürgerlichen Lager verortet. "Asyl ist im Grundgesetz verankert und steht nicht zur Disposition der Politiker", begründet er seine Haltung zu einer zahlenmäßigen Obergrenze. Allerdings hält er dies nur für das falsche Mittel und plädiert für geschlossene Grenzen.
Abweichler gibt es auch in den etablierten Parteien - wie der SPD-Kandidat Joe Weingarten, der im Wahlkreis Kreuznach (Rheinland-Pfalz) um ein Direktmandat kämpft. Der Abteilungsleiter im Wirtschaftsministerium von Rheinland-Pfalz stellt sich bei Themen wie Rente, Terrorabwehr oder Befristung von Arbeitsverträgen gegen die große Mehrheitsmeinung unter den sozialdemokratischen Kandidaten. Damit steht steht er vielen Bewerben von Union und FDP näher als den eigenen Genossen. Aus dem bürgerlichen Lager ragen wenige FDP-Kandidaten nur in die SPD-Region hinein - wie Walter Elß aus Zerbst (Sachsen-Anhalt) oder Katja Tavernaro aus Colditz (Sachsen). Und tief in das Kerngebiet der AfD dringt keiner der Direktkandidaten von Union, SPD, Grüne, Linken und FDP hinein.