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Bundestagswahl 2017
TV-Duell
2017
Merkel
vs.
Schulz

Die Analyse

Angela Merkel hat das TV-Duell knapp gegen Martin Schulz gewonnen, sagt Hajo Schumacher. Eine Videoanalyse der 13 entscheidenden Szenen.

Hajo
Schumacher
Minute 1

Der Start

Die ersten Minuten sind besonders wichtig: Wer kommt gut ins Spiel? Wer schlingert? Moderator Kloeppel nimmt Martin Schulz frontal. „Warum schenken Ihnen so wenig Leute Vertrauen?“ Der Kandidat kontert selbstsicher, weist auf die vielen Millionen Unentschiedenen hin.

Moderatorin Illner fragt Angela Merkel nach der doppelgesichtigen Kanzlerin zwischen Auto und Klima, Willkommen und Flüchtlingsdeal. Auch die Kanzlerin lässt sich nicht irritieren, wiederholt ihren Lieblingssatz mit den vielen Herausforderungen der Zukunft. Die Kanzlerin wirkt eine Spur freundlicher, manchmal entgleitet ihr sogar ein Lächeln. Unentschieden.

Merkel: 1
Schulz: 1
Minute 6

Flüchtlinge I

Guter Moment für Schulz. Er weist daraufhin, dass die Kanzlerin in einem Interview unlängst gesagt habe, sie würde alles wieder so machen wie im Herbst 2015. Der Herausforderer weist auf das Durcheinander in Brüssel hin, weil die Kanzlerin die anderen EU-Staaten nicht eingebunden habe. Merkel guckt grimmig. Strunz setzt bissig nach, der Kanzlerin entweicht ein „Pfft“ und ein ungehaltenes „Is' ja auch egal, ob Herr Schulz was besser weiß“. Punkt Schulz.

Merkel: 1
Schulz: 2
Minute 12

Flüchtlinge II

Überraschend kommt Martin Schulz aus der Deckung und fragt Merkel, warum Horst Seehofer den ungarischen Regierungschef Orban mehrfach einlud, obgleich der sich während der Flüchtlingskrise sperrig zeigte. Die Kanzlerin windet sich aus der Attacke, aber Schulz setzt noch mal nach: „Alles so zu machen wie 2015, dazu würde ich nicht raten.“ Merkel unter Druck, sie müht sich um eine balancierte Antwort: früher alles richtig gemacht, heute auch. Beim Flüchtlingsthema kann sie Wähler aus der Mitte ebenso verlieren wie am konservativen Rand. Doch die Kanzlerin kommt zurück in die Spur, dankt den vielen Ehrenamtlichen. Wieder ein Lächeln. Hat sie offenbar trainiert. Unentschieden.

Merkel: 2
Schulz: 3
Minute 19

Integration

Gehört der Islam zu Deutschland? Die Kanzlerin sendet klare Forderungen an die geistlichen Führer in deutschen Moscheen. Schulz zeigt sich als Islam-Versteher und will mit einem islamischen Zitat punkten, gerät ins Stocken, peinliche Pause, das Zitat verpufft, er habe es sich fürs Schlusswort aufbewahren wollen, erklärt der sichtlich verunsicherte Kandidat noch. Immerhin fällt ihm der Name des schiitischen Denkers aus dem Iran ein, was in diesem Moment wohl kaum jemand beeindruckt. Die Kanzlerin legt hart nach, spricht von Moscheen-Schließung und null Toleranz. Punkt Merkel.

Merkel: 3
Schulz: 3
Minute 27

Kirche

Sandra Maischberger fragt, wer von beiden in der Kirche war an diesem Sonntag. Merkel antwortet lächelnd und offen: „Nein, ich war heute nicht in der Kirche.“ Martin Schulz war in Sacrow am Grab „meines Freudes Frank Schirrmacher“, des früheren FAZ-Herausgebers. Merkel merkt an, dass sie am Samstag zuvor am Grab ihres Vaters war, um seiner zu gedenken. In einen Moment der Stille platzt Martin Schulz mit einem deplatzierten Spruch über Beten im „stillen Kämmerlein“. Peinlich. Punkt Merkel.

Merkel: 4
Schulz: 3
Minute 32

Migration

Großes Thema, wenig fundamentale Unterschiede. Schulz fordert ein europäisches Einwanderungsrecht, was sehr unrealistisch klingt. Merkel wiederholt die Unions-Pläne für ein Fachkräftezuwanderungsgesetz, weil „nicht jeder, der hier herkommt, sofort Mechatroniker werden kann.“ Die Kanzlerin betont die Notwendigkeit von Verhandlungen mit den afrikanischen Mittelmeeranrainern, wirkt aber deutlich rigider, was Einwanderung angeht. Wirkt in den Zahlen, Verfahren und Rechtsfragen sehr sicher. Da spricht die Regierungschefin. Schulz wirkt etwas an den Rand gedrängt. Punkt Merkel.

Merkel: 5
Schulz: 3
Minute 43

Türkei

Merkels wunder Punkt. Wegen des Flüchtlingsdeals, so glauben viele Wähler, lasse sich die Kanzlerin vom türkischen Regierungschef Erdogan auf der Nase herumtanzen. Martin Schulz hatte bereits in Minute 25 angekündigt, das Flüchtlingsabkommen zu kündigen und die EU-Beitrittsverhandlungen zu beenden, wenn er Kanzler sei. Merkel kontert jetzt, dass sie da keine Alleingänge unternehmen dürfe, sondern eine Einstimmigkeit der EU-Staaten brauche. Merkel flicht immer wieder elegant ein, dass sie dauernd mit Ministern und Regierungschefs spricht. Schulz legt noch mal nach, aber immer wenn er einen Satz beginnt mit den Worten „Wenn ich Kanzlerin bin...“ kann man sich eines Lächelns nicht erwehren. Unentschieden.

Merkel: 6
Schulz: 4
Minute 50

Außenpolitik, Nordkorea, Trump

Merkel redet heute mit Macron, morgen mit Donald Tusk, dann mit den Japanern und natürlich dem amerikanischen Präsidenten. Die Weltpolitikerin Merkel legt los zum Solo, preist Verhandlungen als einzigen Weg, Trump-Kritik eingeschlossen – Martin Schulz nickt artig. Damit ist das Verhältnis der beiden bestens illustriert. Punkt Merkel.

Merkel: 7
Schulz: 4
Minute 58

Soziale Gerechtigkeit

Das muss der Schulz-Moment werden. Der Kandidat spricht von Langzeitarbeitslosen, prekären Jobs, benachteiligten Frauen, explodierenden Mieten. Die Beschreibung ist richtig, aber was sind die Therapien, zumal seine Partei 15 der letzten 19 Jahre regiert oder mitregiert hat? Merkel lässt sich zum Versprechen hinreißen, dass es mit ihr keine Rente mit 70 geben wird. Schulz ist verblüfft: „Ganz toll. Zum ersten Mal, dass Frau Merkel mal eine klare Position hat.“ Er zählt alle CDUler auf, die die Rente mit 69 oder 70 befürworten und erinnert an Merkels Maut-Versprechen aus dem Duell 2013. Die Kanzlerin keilt zurück. Hätte ein schwerer Wirkungstreffer werden können, zumal Schulz aus einem Telefonat mit der Kanzlerin zitiert. Doch Schulz tritt zu ironisch und selbstgewiss auf. Hier fehlte der Killerinstinkt, sonst wären es zwei Punkte für Schulz gewesen. Punkt Schulz.

Merkel: 7
Schulz: 5
Minute 67

Diesel-Gate

Merkel stellt sich klar auf die Seite der Autokäufer, macht aber auch klar, dass „wir noch Jahrzehnte Verbrennungsmotoren“ haben werden. Die Kanzlerin erweist sich als sattelfest in den Feinheiten der Juristerei. Wieder wirkt Schulz ein wenig verloren, findet dann aber den Sozialdemokraten in sich und preist die Werktätigen, die sich in den Kneipen beschimpfen lassen müssen, während hochbezahlte Manager einen gewaltigen Vertrauensverlust verursacht hätten, und zitiert aus Gesprächen mit kleinen Handwerkern. „Das ist unfair.“ Moderatorin Illner spricht die „Autokanzlerin“ an, weist auf Lobbyisten aus der Politik hin, die Kanzlerin guckt grimmig, gibt sich „entsetzt“. „Vertreten Sie noch die Interessen des Verbrauchers?“, setzt eine starke Illner nach. Die Kanzlerin schwankt. Schulz verliert sich in Späßchen über den SPD-Justizminister Maas und vergibt wieder einen doppelten Wirkungstreffer. Punkt Schulz.

Merkel: 7
Schulz: 6
Minute 80

Ja/Nein-Runde

Wahlrecht mit 16? Schröder bei Rosneft? Ehe für alle? Die Duellanten waren gebeten, schnelle Antworten zu geben. Eine Tortur für die manische Differenziererin Merkel. Bei der „Ehe für alle“ schlingerte sie, Schulz ließ sich zu einem Lobgesang auf Gerhard Schröder hinreißen. Und wieder ein kleiner Lapsus. „Die“ dürfe immer mit so vielen Sätzen antworten, mault der SPD-Kandidat. Sorry, egal ob Kanzlerin oder Knecht - kein Mensch ist „die“ oder „der“. Von diesen schnellen Fragen hätten die Zuschauer sicher gern noch ein paar mehr gehabt. Unentschieden

Merkel: 8
Schulz: 7
Minute 84

Innere Sicherheit

Martin Schulz ist deutlich munterer geworden, geht die Kanzlerin öfter direkt an, leider etwas spät. Schulz macht auf Schröder und will straffällige Migranten abschieben, „raus, so schnell wie möglich.“ Als Angela Merkel („Ich mach' das doch nicht zum Spaß hier“) darauf hinweist, dass gerade SPD-regierte Bundesländer mit Ausrüstung für Polizisten und Fahndungserfolgen hinten dran seien, kontert Schulz mit der miesen Bilanz des CDU-regierten Sachsen-Anhalt. Merkel entfährt ein „Ist doch egal.“ Unentschieden

Merkel: 9
Schulz: 8
Minute 95

Abschlussstatements

Martin Schulz startet quälend langsam, elegisch, es soll wohl willybrandthaft nachdenklich wirken. Oder hat er den Faden verloren? Botschaft am Ende: Europa. Das ist immer schön, aber erklärt nicht so richtig, warum man ihn wählen soll. Gute Chance zum Schluss vertan.

Die Kanzlerin deutlich forscher, den Blick nach vorn gerichtet, wenn auch in die falsche Kamera: Modernisierung, Digitalisierung, Herausforderungen der Zukunft, denen sie mit „Erfahrung und Neugier“ begegnen will. Leider kein Hammersatz wie „Sie kennen mich“. Punkt Merkel.

Merkel: 10
Schulz: 8

Fazit

Ein gutes Duell, weniger Gezänk als Gespräch. Die Themen Bildung, Digitalisierung Wirtschaft und Umweltschutz wurden leider nicht angesprochen, die Zukunft fiel also weitgehend aus. Schulz ist nicht eingegangen, hat aber auch nicht darlegen können, warum er nun der bessere Kanzler ist. Angela Merkel war streckenweise überraschend freundlich, schloss eine Koalition mit Linken und AfD aus, während Schulz die Linkspartei nicht abweisen mochte. Prognose: Angela Merkel bleibt Kanzlerin, Martin Schulz wird mit Glück in einer Großen Koalition Gnadenminister, aber als SPD-Vorsitzender abgelöst.

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