Ukraine-Russland-Krieg in Fotos: An der Front: Sie kämpfen gegen Putins Truppen

Sie kauern seit Wochen in Schützengräben, unter wahllosen Bombeneinschlägen und dem Wummern der gegnerischen Geschütze. Sie haben Angst vor dem Tod, aber eine hohe Kampfmoral: Was erleben die ukrainischen Soldaten? Was bewegt sie? Jan Jessen (Text) und Reto Klar (Fotos) haben sie in der Nähe der Frontlinie getroffen.

Sergej (Mitte 50) in der Nähe von Mykolajiw

Foto: Reto Klar

„Wir haben junge Soldaten, die sich mit Granaten selbst in die Luft sprengen. Dabei wollen sie eigentlich leben. Aber sie opfern sich, um andere zu retten. Verstehen Sie, unsere Moral ist enorm hoch.“ In einem Kornfeld bei Mykolajiw und dem russisch besetzten Cherson im Süden der Ukraine steht Sergej vor dem Wrack eines russischen Kampfhubschraubers. Die Maschine sei Mitte Mai abgeschossen worden, erklärt der Mitte 50-Jährige. Sergej ist Offizier und hat schon zu Sowjetzeiten gedient.

„Der Hauptgrund für die Schwäche der russischen Armee ist Korruption. Die Generäle haben gigantische Paläste, die sie von dem Geld gebaut haben, das sie der Armee gestohlen haben. Die Ukraine dagegen hat in den vergangenen acht Jahren ihre Armee aufgebaut.“ Er glaubt, den Hauptgrund für den Widerstand der Ukrainer zu kennen: „Wir wissen, wofür wir kämpfen. Die Russen wissen das nicht.“ Er selbst habe Freunde in Russland. „Die meisten warten auf unseren Sieg.“

Alex, Jurist und Offizier in der 59. Motorisierten Brigade

Foto: Reto Klar

„Die Vereinten Nationen sind doch nutzlos, wenn sie nichts gegen Unrecht unternehmen.“ Alex sitzt mit seinem Freund Volodymyr in einem Café in Mykolajiw im Süden der Ukraine. Er ist Offizier in der 59. Motorisierten Brigade. Im März, als in den Außenbezirken der Stadt heftige Kämpfe tobten, da hat er mit anderen Kameraden Zivilisten gerettet. „Ich musste das tun. Es ist meine Pflicht. Ich bin ein Offizier. Ich habe ein ziviles Auto genutzt.“ Die alten Militärfahrzeuge der ukrainischen Armee seien teilweise über vierzig Jahre alt. „Damit kommt man nicht schnell genug aus der Reichweite der Russen heraus. Mit zivilen Fahrzeugen und dank der guten Entscheidungen unserer Kommandeure hat das funktioniert. Wir konnten dreißig Menschen retten.“

Alex arbeitet jetzt als militärischer Berater. Vorher war er Militärjurist. Aus juristischer Sicht kann er es nicht verstehen, warum ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg wie der Moskaus nicht entschiedener von der Gesamtheit der Vereinten Nationen beantwortet wird. „Fast alle sagen, es ist Unrecht. Kaum jemand unternimmt etwas.“ Deswegen wünscht sich Alex eine Neuauflage der Vereinten Nationen. „Wir brauchen eine Organisation mit Mitgliedsländern, die bereit sind, bei schweren Verletzungen des Völkerrechts sofort aktiv zu werden.“

Alexej (34) lebt seit Monaten in einem Erdloch

Foto: Reto Klar

„Mir helfen die Gespräche mit meinen Freunden und meiner Familie, mit der Furcht umzugehen.“ Irgendwo neben einer Straße zwischen Mykolajiw und Cherson im Süden der Ukraine lebt Alexej seit drei Monaten in einem Erdloch, zu dem ein Schützengraben führt, geschützt von einer Baumreihe und Gebüsch. Er ist 34, verheiratet und hat zwei Kinder. Am ersten Tag des Krieges wurde er eingezogen. „Ich bin Experte für optische Zielerfassungsgeräte, mit denen wir die Russen ins Visier nehmen. Vor dem Krieg hatte ich einen normalen Job. Ich hatte ein Haus, ein Auto, das war kreditfinanziert.“

Er sitzt an einem Holztisch in der Erdhöhle, die sie sich hier gegraben haben. Die Zeit vertreiben sie sich hier, indem sie weiter am Ausbau ihrer Stellung arbeiten oder Kartoffeln anpflanzen. Alexej liest gerne mal ein Buch. Die Front ist nicht weit. Das Donnern der Geschütze rollt immer wieder über die Steppenlandschaft. „Natürlich habe ich hier Angst. Man weiß nicht, wie sie die Ziele aussuchen, das wirkt sehr chaotisch. Sie bombardieren zivile Ziele, sie bombardieren militärische Ziele.“

Denis Holodyuk (30) in Baschtanka

Foto: Reto Klar

„Niemand kann einfach in mein Land kommen und meine Familie bedrohen.“ Der Ukrainer ist in Baschtanka stationiert, nahe der Front im Süden des Landes. Der 30-Jährige beantwortet Fragen nur einsilbig, aber entschlossen. Er stammt aus der Westukraine, ist Fan von Juventus Turin. „Vor dem Krieg habe ich als Lastwagenfahrer gearbeitet. Ich bin quer durch Europa gefahren.“ Nach dem russischen Überfall hat er sich freiwillig zur Armee gemeldet. „Das musste ich tun. Das ist doch meine Heimat, das ist mein Land. Es gehört uns.“ Auf seinem Sturmgewehr hat er einen Schalldämpfer aufgeschraubt. Geschossen hat er damit noch nicht auf einen Feind. Aber wie alle hier in Baschtanka hat er es erlebt, bombardiert zu werden. Erst in der Nacht zuvor sind Raketen mitten im Stadtzentrum eingeschlagen.

„Manchmal habe ich Angst. Ich bin ein ganz normaler Mensch“, sagt er. Holodyuk ist verheiratet und hat eine fünfjährige Tochter. „Meine Frau hat nichts gesagt, als ich zur Armee gegangen bin. Sie hat verstanden, dass ich das tun muss, was ich tue.“ Nach dem Krieg, sagt er, will er wieder als Trucker arbeiten. „Das war ein gutes Leben.“

Alexander Pigurnii (33) in der Nähe von Mykolajiw

Foto: Reto Klar

„Ich kämpfe für all die Kinder, die vertrieben wurden, für die Kinder, die bereits von den russischen Faschisten getötet worden sind.“ Alexander Pidgurnii ist in Baschtanka stationiert, einer Kleinstadt im Süden der Ukraine unweit von Mykolajiw. Er ist 33, stammt aus Kamjanez-Podilskyj in der Westukraine gut zehn Autostunden entfernt, ist verheiratet, und hat zwei Kinder. Vor dem Krieg hat er als Trucker gearbeitet und als Monteur in der Höhe.

Mit seinen Kindern telefoniert der 33-Jährige jeden Tag. „Sie sind sehr besorgt um mich. Sie fragen mich immer, ob ich genügend gegessen habe und ob ich mich wohl fühle.“ Er sagt, er habe es trotzdem nie bereut, zur Armee gegangen zu sein. „Wenn jeder die Armee verlassen würde, weil er Angst hat, dann gäbe es die Ukraine nicht mehr. Wir haben eigentlich keine Zeit, Angst zu haben.“ So ganz stimmt das nicht. Pigurnii erinnert sich an einen Tag, als sie nahe Luhansk im Donbass unter massiven Beschuss gerieten. „Das war der schrecklichste Moment, den ich bislang erlebt habe, weil wir aktiv beschossen wurden.“

Nazar (37) kämpfte bereits vor Russlands Angriffskrieg

Foto: Reto Klar

„Der Tod von Millionen ist Statistik. Der Tod eines einzelnen Soldaten ist eine Tragödie.“ Nazar, 37, ein gedrungener Mann mit Bauchansatz, ist stellvertretender Kommandeur eines Bataillons in der 36. Brigade. Er hat schon vor dem russischen Angriffskrieg militärische Erfahrungen gesammelt. „Zwischen 2015 und 2017 habe ich im Rahmen der Antiterror-Operation im Osten der Ukraine gekämpft, dann habe ich ein ziviles Leben gelebt.“ Die Kämpfe dort gegen die prorussischen Separatisten in Luhansk und Donzek seien aber nicht mit dem vergleichbar, was derzeit geschehe.

„Die Russen nutzen Zivilisten als menschliche Schutzschilde und bauen ihre Positionen inmitten von Städten und Dörfern auf. Das es erschwert es uns, unsere Artillerie einzusetzen.“ Der Mann, der im zivilen Leben Besitzer einer Firma für landwirtschaftliche Produkte ist, ist ein glühender Patriot: „Auch wenn die Mentalität der Menschen unterschiedlich sein mag, sind wir jetzt so vereinigt wie niemals zuvor.“

Volodymyr (25), Offizier und schon Kriegsheld

Foto: Reto Klar

„Die Kommunikation muss stimmen.“ Volodymyr sitzt mit seinem Freund Alex in einem Café an der Bohoyavltnsky-Allee in Mykolajiw. Der 25-Jährige ist ganz offiziell ein Held, bald soll er mit einem Orden ausgezeichnet werden. Er ist Offizier und befehligt eine Einheit von vier Panzern. „Am 26. März hatten wir um fünf Uhr nachmittags Position in einem Dorf südöstlich von Mykolajiw bezogen. Die Russen standen mit zwölf T-72-Panzern eineinhalb Kilometer entfernt von uns. Wir hatten vier T-64. Wir haben sie alle vernichtet und nicht einen einzigen Mann verloren“, erzählt er ruhig.

In einem Panzergefecht, sagt Volodymyr, komme es immer auf das Team an und wie es miteinander kooperiert. „Es ist wichtig, dass auch beim Ausfall eines Kommandeurs jemand anderes entscheiden kann, welcher Gegner zerstört werden muss.“ Die ukrainischen Panzer hätten zudem einen Vorteil gehabt, obwohl sie älter und schlechter gepanzert gewesen seien als die der Russen. „Sie sind etwa zwei Sekunden schneller, wenn es darum geht, ein Ziel anzuvisieren oder zu laden. Das sind entscheidende Sekunden. Wir waren schneller.

Oleg Zilinski (28) in der Nähe von Baschtanka im Süden der Ukraine

Foto: Reto Klar

„Natürlich verspüre ich Angst. Eine Bombe schlägt wahllos ein. Eine Rakete schlägt wahllos ein. Jeder kann der Nächste sein, der getroffen wird.“ Oleg Zilinski ist ein bulliger Mann mit raspelkurzem rotem Haar. Früher war er Mixed-Martial-Arts-Kämpfer, die Karriere endete, als er sich am Bein verletzte. Zilinski ist 28, er ist Leutnant und Presseoffizier bei der 36. Brigade, die in der Gegend um Baschtanka im Süden der Ukraine stationiert ist. Es ist nicht weit von hier bis zur letzten Verteidigungslinie, das von den Russen besetzte Cherson ist vielleicht 20, 30 Kilometer entfernt. Ab und an ist Geschützdonner zu hören.

„Vor dem Krieg hatte ich aber einen normalen Job in Polen. Als der Krieg begann, bin ich in die Ukraine gereist und wieder zur Armee gegangen. Das war am 28. Februar.“ „Das Wichtigste ist doch, dass ich meine Pflicht erfülle. Ich will meine Heimat unbedingt verteidigen.“ So sollte eigentlich jeder Ukrainer denken, sagt Ziliniski.

Vadym, seit 20 Jahren Berufssoldat

Foto: Reto Klar

„Das Schlimmste ist es, die Angehörigen über ihren Verlust zu informieren, über den Verlust ihres Sohnes, ihres Bruders, ihres Ehemanns.“ Er ist der stellvertretende Kommandeur der Brigade, die hier in Batschanka im Süden der Ukraine nah der Front stationiert ist. Er ist seit 20 Jahren Berufssoldat. „Wir wussten seit 2014, dass der große Krieg kommen wird. Deswegen haben wir uns vorbereitet. Uns war klar, dass die Russen imperialistische Ideen haben.

Wir müssen einen nüchternen Blick auf die Situation haben. Es gibt für diesen Konflikt keine politische oder diplomatische Lösung. Wenn wir jetzt zu diplomatischen Vereinbarungen kämen, würde das gleiche in fünf oder zehn Jahren wieder geschehen“, sagt er. Bismarck habe einmal gesagt, eine Vereinbarung mit Russland sei das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben sei.


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