Rechte Parteien über Jahrzehnte chancenlos
Der Auszählungskrimi der Wahlnacht 2013 endete mit mehreren kleinen Sensationen: Die CDU hatte mit Angela Merkel das beste Ergebnis seit 23 Jahren (41,5 Prozent) eingefahren, die FDP flog aus dem Bundestag, und eine neue Partei wurde aus dem Stand zu einem neuen Faktor in der Bundespolitik. Nur ein halbes Jahr nach ihrer Gründung verfehlte die AfD mit 4,7 Prozent knapp den Einzug in den Bundestag. In 4700 Gemeinden übersprang sie die Fünf-Prozent-Marke - neben Ostdeutschland auch in den westlichen Bundesländern. Die Partei war zwar damals um ihren Gründer Bernd Lucke noch entfernt von ihren heutigen Thesen zu Flüchtlingen und Zuwanderern, wurde aber bereits als Sammelbecken für Rechtspopulisten wahrgenommen. Eine erste wissenschaftliche Studie des Düsseldorfer Populismusforschers Alexander Häusler verortete die junge AfD schon 2013 eindeutig rechts von den Unionsparteien.
Parteien aus diesem Spektrum im Bundestag - das gab es zum letzten Mal nach den Wahlen von 1957 mit der Deutschen Partei (DP) und dem Gesamtdeutschen Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE), der sich aber eher als Interessenvertretung verstand. Seit 1961 bestimmten dann nur noch drei Fraktion das Parlament: CDU/CSU, SPD und FDP - bis 1983 die Grünen den Sprung schafften. Mit der Wiedervereinigung kam eine fünfte Kraft dazu: Die SED-Nachfolgepartei PDS, aus der 2007 die heutige Linkspartei hervorging.
Rechte Parteien hatten dagegen auf Bundesebene lange keine Chancen. So kam die rechtsextreme NPD bei Bundestagswahlen in den 90er-Jahren über 0,3 Prozent nicht hinaus und trat 1994 gar nicht erst an. Die Parteispitze räumte damals ein, besondere Probleme in den neuen Bundesländern zu haben. Und tatsächlich wählte der Osten nach der Wiedervereinigung zunächst kaum rechts: So erzielten alle rechten Parteien zusammen bei den Wahlen von 1990 und 1994 in keiner einzigen Gemeinde Sachsens fünf Prozent. Zugleich attestierten Verfassungsschützer Gegenden in den neuen Bundesländern ein großes rechtsextremitischen Potential. Das wurde auch offensichtlich: So kam es zu einem Anschwellen rassistischer Gewalt - mit pogromartigen Ausschreitungen von Hoyerswerda (1991) bis Rostock-Lichtenhagen (1992).
NPD-Hochburg in Brandenburg
»Viele, die hier CDU gewählt haben, sind wohl enttäuscht und dann nach rechts abgedriftet.«
– Claus Voigt, Bürgermeister von Gröden
Parteien am rechten Rand konnten bis 1994 vor allem im Süden Deutschlands punkten, insbesondere die Republikaner. Skinheads und rechte Fußballfans in Ostdeutschland erreichen die Altrechten aus dem Westen dagegen damals kaum. Doch sie passten ihre Programmatik an den Osten an - und konnten dort von einem Stimmungswandel nach 1994 profitieren. Ende der 90er ging es steil bergauf für sie: Die DVU erreichte 1998 in Sachsen-Anhalt mit 12,9 Prozent das bis dahin höchste Ergebnis einer rechten Partei bei einer Landtagswahl. Und die NPD konnte laut Verfassungsschutz mit einem aktionistischen Politikstil auch Fuß in der jugendlichen Szene fassen. Bei der Bundestagswahl 1998 erzielten die Rechten schließlich in Teilen Ostdeutschlands Ergebnisse weit über ihrem Bundesdurchschnitt. Zugleich trat mit Pro DM die erste rechtspopulistische Partei an.
Erste Rechtspopulisten nur regional erfolgreich
Mit der Jahrtausendwende kamen weitere Rechtspopulisten hinzu: 2001 zog die Schill-Partei mit 19,4 Prozent in die Hamburger Bürgerschaft ein. Doch Versuche, den Erfolg bundesweit zu übertragen, scheiterten. Rechtsgerichtete Parteien hatten bei der Bundestagswahl 2002 wieder ganz schlechte Karten: In nur elf Gemeinden kamen sie über fünf Prozent. Schill schaffte es nicht einmal in Hamburg - lag aber bundesweit mit rund 0,8 Prozent vor den rechtsextremen Republikanern (0,6 Prozent) und der NPD (0,4 Prozent), gegen die zu dieser Zeit das erste Verbotsverfahren lief. Die DVU nahm 2002 erst gar nicht an der Wahl teil. Der Lagerwahlkampf der etablierten Parteien und die Jahrhundertflut, die Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg traf, ließen den Rechten nur wenig Raum für ihre Themen Asyl und Innere Sicherheit.
Als nach den Hartz-IV-Reformen bei der vorgezogenen Wahl 2005 die Ära von Gerhard Schröders SPD-geführter Bundesregierung (1998-2005) endete, konnten rechtsextreme Parteien Protestwähler für sich gewinnen - besonders stark in Sachsen. Doch auch unter der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) blieben sie ohne Chancen auf einen Sitz im Bundestag. So scheiterte im Januar 2017 auch ein zweites NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Erst mit der weniger radikalen AfD etabliert sich seit 2013 eine rechte politische Kraft mit breitem Einfluss. Bis jetzt waren bei Bundestagswahlen fünf Gemeinden im Norden (Langeneß, Sollwitt, Hüven, Lahn, Gölenkamp) weitestgehend immun gegen rechts: Zusammen blieben dort Rechtsextreme und Rechtspopulisten immer unter einem Prozent. Das könnte sich in diesem September ändern.
Fünf Thesen über rechte Wähler im Faktencheck
These 1
Ost/West
»Der Osten war schon immer besonders anfällig für rechte Parteien.«
Stimmt nicht
Anteil rechte Stimmen
Begründung: Bei den ersten beiden Bundestagswahlen nach der Wiedervereinigung hatten rechte Parteien in den neuen Bundesländern kaum Chancen. Erst 1998 überholte der Osten den Westen. In Ostdeutschland kamen die Rechten damals zusammen auf rund 7,4 Prozent (Westen: 3,8 Prozent). Seitdem halten sich die rechten Parteien dort - selbst 2002, als sie den schwächsten Zuspruch seit 1990 bekamen. Es bildeten sich damals dauerhafte Hochburgen wie Lassan in Mecklenburg-Vorpommern oder Sebnitz in Sachsen.
Insgesamt mehr als fünf Prozent der Stimmen bekamen alle Parteien rechts von der CDU aber auch in Ostdeutschland erst wieder 2013, als die AfD antrat (Osten: 9,2 / Westen: 5,9 Prozent). Ein neuer Rechtsruck war damals in beiden Teilen zu spüren.
These 2
Ausländeranteil
»Wo die wenigsten Ausländer leben, wird am stärksten rechts gewählt.«
Stimmt
Begründung: Den rechten Wählern sind Menschen, die aus anderen Länder stammen, offensichtlich wirklich fremd. Sie dürften in ihrer Gegend nur selten mit Ausländern in Berührung kommen. Bei der Wahl 2013 war der Kreis Sächsische Schweiz - Osterzgebirge der einzige, in denen rechtsextreme Parteien zusammengerechnet über die Fünf-Prozent-Marke kamen. Zugleich gab es dort einen verschwindend geringen Ausländeranteil von 1,5 Prozent. Im bayrischen Starnberg, dem Kreis mit dem schwächsten Ergebnis für Rechtextreme (0,3 Prozent), war er sieben Mal so hoch.
Dieser Zusammenhang zwischen geringem Ausländeranteil und höherem Stimmanteil für Rechtsextreme lässt sich für die letzten drei Bundestagswahlen zumindest auf Kreisebene nachweisen. Davor ist er aber noch nicht erkennbar.
These 3
Rechtsruck
»Unter Merkel sind die meisten Gegenden nach rechts gerückt.«
Stimmt
Begründung: Von 2005, als Angela Merkel als Siegerin hervorging, bis 2013 sind bei Bundestagswahlen alle Kreise und kreisfreien Städte nach rechts gerückt - mit einer Ausnahme: Freiburg im Breisgau. In den 401 von 402 Kreisgebieten (in der Grafik von Nord nach Süd dargestellt) ist der Stimmenanteil von Parteien rechts von CDU/CSU bei den letzten drei Wahlen tendenziell gestiegen. Dabei ist ein gleichzeitiger Linksruck durch Parteien, die sich links von der SPD definieren, ausgeschlossen. In der Ära von Gerhard Schröder (SPD, 1998-2005) ergibt sich ein umgekehrtes Bild: Nur Schwerin und Rostock rückten nach rechts, unter Helmut Kohl (CDU, 1990-1998) waren es 185 Kreise und kreisfreie Städte, also die Hälfte.
In die Ära Merkel fällt allerdings auch das Phänomen der AfD. Rechnet man die Stimmen der Rechtspopulisten heraus, sind es aber immerhin noch 91 Kreise. Und die Ära ist mit 2013 längst nicht vorbei.
These 4
Anschläge
»Wo nun Flüchtlinge angegriffen werden, wird seit Jahren rechts gewählt.«
Stimmt nicht
Begründung: Seit 2015 kommt es vermehrt zu Übergriffen auf Flüchtlinge. Ein klarer Zusammenhang mit den Hochburgen rechter Parteien bei den drei letzten Bundestagswahlen ist nicht erkennbar. Mit der Flüchtlingskrise sind besonders Gemeinden in Sachsen wie Heidenau und Freital durch fremdenfeindliche Proteste und Anschläge in die Schlagzeilen geraten. Die meisten Gemeinden, in denen rechte Parteien bei allen drei Wahlen seit 2005 mindestens fünf Prozent erreicht haben, liegen zwar in Sachsen. Aber die Vorfälle verteilen sich auf ganz Deutschland.
Die Amadeu Antonio Stiftung und Pro Asyl dokumentieren seit Januar 2015 Aktionen gegen Flüchtlinge. Der Vergleich zwischen den Vorfällen (ohne Kundgebungen, Stand 11.01.2017) und den Wahlhochburgen zeigt: Rechtextremismus lässt sich nicht einfach an Wahlergebnissen messen.
These 5
Stadt/Land
»Auf dem Land wird eher rechts gewählt als in den Großstädten.«
Stimmt
Anteil rechte Stimmen
Begründung: In so genannten Landgemeinden (weniger als 5000 Einwohner) haben rechte Parteien seit 1990 immer einen höheren Stimmenanteil als in Großstädten (mehr als 100.000 Einwohner). Allerdings variieren die Unterschiede im Wahlverhalten über die Jahre: von einem zweieinhalb Mal so großen Stimmenanteil auf dem Land im Jahr 2005 bis zu einem knappen Unterschied von nur zehn Prozent bei der Bundestagswahl 2002. Damals kamen die rechten Parteien aber auch auf ihr niedrigstes Ergebnis seit der Wiedervereinigung.
Nach zwei Wahlen mit deutlichem Unterschied wird der Abstand zwischen Stadt und Land mit dem Erscheinen der AfD wieder kleiner. Sie erzielte bei der Wahl 2013 in Großstädten 4 Prozent und in den Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohner 4,5 Prozent.