Der Discounter Lidl hat mit seiner „Kreislaufflasche“ für heftige Debatten gesorgt. Unbestritten ist ihr Recycling-Anteil besonders hoch. Doch die komplett auf Wiederverwertung getrimmte PET-Flasche taugt nicht als Stellvertreter für andere Einwegflaschen und erst recht nicht für andere Kunststoffverpackungen im eigenen Sortiment. In den Supermarktregalen der Schwarz-Gruppe, zu der Lidl gehört, stehen etliche Produkte mit Kunststoffverpackungen mit geringem Recycling-Anteil. Laut Fortschrittsbericht der Ellen MacArthur Foundation waren es zuletzt insgesamt lediglich 14 Prozent.
Die Schwarz-Gruppe gehört zu den weltweit mittlerweile mehr als 500 Unterzeichnen des Übereinkommens der britischen Stiftung. Unternehmen haben sich damit freiwillig verpflichtet, dass bis 2025 alle ihre Plastikverpackungen wiederverwendet, recycelt oder kompostiert werden können. Darüber hinaus versprechen sie, auf unnötiges Plastik künftig zu verzichten. Darunter sind große Konzerne, die laut Stiftung 20 Prozent aller Plastikverpackungen weltweit produzieren. Sie melden regelmäßig ihren Fortschritt an die Initiative.
Doch die Zahlen offenbaren zum Teil riesige Recycling-Lücken zwischen dem recycelbaren Anteil (orange) und dem Recycling-Anteil (grün). So gibt die Coca-Cola Company an, das Ziel kompletter Wiederverwertbarkeit bereits 2021 erreicht zu haben (99,9 Prozent). Doch der Einsatz von Recycling-Material für neue Flaschen mit Coca-Cola, Fanta und Co. liegt global bei nur rund 15 Prozent.
Der Softdrink-Gigant gibt dabei ausschließlich PET-Flaschen an, deren weltweite Verbreitung hatte Coca-Cola Ende der 70er-Jahre eingeläutet. PET lässt sich eigentlich vergleichsweise sehr einfach recyceln. Und in einzelnen Märkten wie Coca-Cola Deutschland ist der Recycling-Anteil mittlerweile deutlich höher. Doch global bestanden laut letztem EMF-Bericht mehr als 85 Prozent der Flaschen aus Neuplastik: rund 2,7 Millionen Tonnen in einem Jahr von einem Unternehmen.
Welcher Anteil an alten Coca-Cola-Flaschen letztendlich durch andere Unternehmen recycelt wird, ist unklar. Nicht wiederverwertet ist PET hochgefährlich für unseren Planeten, es braucht bis zu 450 Jahre, um sich zu zersetzen. Und Coca-Cola gilt schon lange als weltgrößter Plastikverschmutzer, wie das globale „Break Free From Plastic“-Netzwerk durch Auswertungen von Müllsammelaktionen wiederholt ermittelt hat. Dort finden sich auch andere Getränke- und Lebensmittelriesen wie PepsiCo, Unilever oder Nestlé, die eine Selbstverpflichtung Ellen MacArthur Foundation unterschrieben haben.
Umweltorganisationen sehen das freiwillige Übereinkommen kritisch, ihnen geht es nicht weit genug, und sie fordern gesetzliche Regelungen statt Selbstverpflichtungen ohne Konsequenzen. „Mit den freiwilligen Verpflichtungen wird von den Unternehmen Aktionismus vorgetäuscht, ohne dass die Ziele realistisch erreicht werden", sagt Thomas Fischer von der Deutsche Umwelthilfe.
Große Marken-Hersteller wie Coca-Cola, PepsiCo oder Colgate-Palmolive haben die Menge an Plastik, die sie erzeugen, seit dem Start des EMF Global Commitment im Jahr 2018 sogar noch erhöht, wie aus den Daten hervorgeht. „Es ist ein Armutszeugnis, dass die bereits schwach formulierten Ziele des Commitments von den Firmen noch untergraben werden“, sagt Viola Wohlgemuth von Greenpeace Deutschland.
Die Kritiker der Initiative fordern vor allem einen stärkeren Fokus auf die Vermeidung von Einwegverpackungen und setzen auf Mehrwegsysteme. Die Ellen MacArthur Foundation setzt auf Druck durch mehr Transparenz und will die Unternehmen so mitnehmen auf den Weg zu einer Kreislaufwirtschaft. Viele Firmen haben tatsächlich seit der Unterzeichnung ihre Mengen laut eigener Angaben reduziert sowie Recycling-Anteile erhöht. Und immerhin untermauern die freiwilligen Zahlen zugleich den Handlungsbedarf: Konzerne, die als größte Plastikverschmutzer gelten, recyceln vergleichsweise wenig.
Die in der Grafik visualisierten Recycling-Lücken illustrieren exemplarisch das Problem für Verpackungen des täglichen Bedarfs, stellen aber kein Ranking dar: Zum einen fehlen einige der weltweit größten Unternehmen aus diesem Bereich wie Procter & Gamble und AB Inbev in den Daten. Zum anderen sind die Bedingungen für das Recycling unterschiedlich. So bestehen hohe gesetzliche Hürden bei Verpackungen, die direkt mit Lebensmitteln in Berührung kommen. Altplastik ist da bislang tabu in der EU, mit Ausnahme von PET.
Ein großes Problem sind flexible Verpackungen wie mehrschichtige Folien und laminierte Tüten. Sie ermöglichen zwar eine hygienische und sichere Aufbewahrung vieler Lebensmittel, sind aber kaum recycelbar. So ist bei einigen Unternehmen wie dem weltgrößten Erdbeer-Produzenten Driscoll’s die Recycling-Lücke umgekehrt: Die Verpackungen für die Beeren bestehen zwar zu mehr 80 Prozent aus recyceltem Kunststoff, dieser lässt sich aber nicht mehr wiederverwenden. Das Ende der Recycling-Kette ist hier erreicht.
Aus einer Verpackung wird nur in seltenen Fällen wieder eine neue Verpackung. Mit jeder Recycling-Stufe schwindet in der Realität die Qualität der gewonnen Kunststoffe. Diese Abwärtsspirale nennt sich Downcycling: Aus Bechern werden Füllmaterial, Mülltonnen oder Bauzaunfüße. Ein Materialkreislauf ist kaum möglich. Auch Textilien aus recycelten Kunststoffen, die als besonders nachhaltig beworben werden, fallen aus dem Kreislauf. Sie lassen sich meist nicht recyceln.
Selbst bei PET-Flaschen bleibt ein geschlossener Kreislauf Theorie. Denn das Recycling geht praktisch mit Materialschwund einher, bereits bei der Beschaffung der Altflaschen. So ist Lidls „Kreislaufflasche“ nur möglich, weil auch zurückgegebene Flaschen anderer Hersteller einer Lidl-Flasche stecken. Und diese fehlen an anderer Stelle. Diese allgemeine Knappheit führt zu einem Paradox: Recyceltes PET ist mittlerweile teurer als entsprechendes Neuplastik.